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Beitrag vom 15.08.2011
Slutwalk
Britta Meyer
Der erste Berliner Slutwalk ist vorbei und er war großartig. 3.500 Menschen wanderten am 13. August 2011 vom Wittenbergplatz bis zum Gendarmenmarkt, um gegen Vergewaltigungsmythen und...
... Victim-blaming zu protestieren.
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© Sharon Adler |
Die Berichterstattung in den Tagesmedien konzentrierte sich, wie in anderen "ge-slutwalkten" Ländern auch, vorrangig auf voyeuristische Darstellungen nahezu nackter Frauen: ein Nebeneffekt, den mensch leider mit einkalkulieren musste, tragen doch die gewollt provokanten Outfits maßgeblich zur gewaltigen Nachrichtenpräsenz bei, welche die Slutwalks erfahren.
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© Sharon Adler |
Die Realität war jedoch wieder einmal komplexer als ihr Medienecho: Tausende von Menschen jeden Alters, aller Geschlechter und in jeder erdenklichen (Ver-)Kleidung demonstrierten für Respekt, Selbstbestimmung und ihr Recht auf Schutz vor sexualisierter Gewalt. Die Reaktionen der ZuschauerInnen waren größtenteils positiv-interessiert.
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© Sharon Adler |
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© Sharon Adler |
Seit April 2011 sind sie auf den Straßen der Welt zu sehen: ob in Toronto, Amsterdam, London, Paris, oder Glasgow, Frauen und Männer mit Transparenten, manche in Strapsen, High-Heels und Unterwäsche, andere in gewöhnlicher Alltagskleidung. Mit
"NO means NO"-Plakaten protestieren sie gegen die angebliche Mitschuld, die Opfern von sexualisierter Gewalt unterstellt wird, sollten diese zum Zeitpunkt der Tat in irgendeiner Weise "provokativ" gekleidet gewesen sein.
Die so genannten
"Slutwalks" nahmen ihren Anfang am 24. Januar 2011, als der Torontoer Polizeibeamte
Michael Sanguinetti Frauen während eines öffentlichen Vortrags über Sicherheit im Alltag empfahl, sich
"nicht wie Schlampen anzuziehen", um Vergewaltigungen zu vermeiden. Dieser "freundliche" Ratschlag verbreitete sich rasend schnell über Twitter, Blogs und Facebook und wurde so aufgenommen, wie er es verdient – mit einer Protestbewegung. Der erste Slutwalk lief am 3. April durch Toronto, statt der erwarteten 100 TeilnehmerInnen kamen 3000. Das Interesse der Medien war geweckt und ist bis jetzt nicht erloschen.
Ein dummer Spruch zuviel"My short skirt is not an invitation
a provocation
an indication
that I want it
or give it
or that I hook."Es geht nicht um die Aussage an sich, sie war nur der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und spiegelt in wenigen Worten eine gesamtgesellschaftliche Haltung wieder, die auf mehreren Ebenen zugleich menschenverachtend wirkt.
Zum Einen die Implikation, dass Frauen nur dann zu Opfern sexualisierter Gewalt werden, wenn sie sich auf eine Weise kleiden und verhalten, die nicht der Vorstellung einer "guten" Frau entspricht. Dies deckt sich mit herrschenden Mythen, nach denen sexualisierte Gewalt nur solchen Frauen passiert, die sich auf irgendeine Weise "falsch" verhalten haben und daher an dem Erlittenen selbst schuld sind.
Zum Anderen drückte Sanguinetti mit seinem "netten" Tipp aus, dass Frauen, die seiner Vorstellung von einer "Schlampe" entsprechen, also Prostituierte und promiskuitive Frauen, nicht dasselbe Recht auf körperliche Unversehrtheit genießen wie andere Menschen.
Darüber hinaus steckt in den Worten die selbstverständliche Annahme, dass die Art und Weise, in der eine Frau sich kleidet, nur einen einzigen Zweck verfolgen kann, nämlich das sexuelle Interesse von Männern auf sich zu ziehen. Persönlicher Geschmack, Witterungsbedingungen, berufliche Kleidungsvorschriften, nichts hiervon zählt als Grund für die tägliche Wahl der Bekleidung. Einzig der männliche Blick auf den weiblichen Körper kann ausschlaggebend für das Outfit einer Frau sein.
Sanguinetti musste sich inzwischen aufgrund vielfältiger aufgebrachter Reaktionen für seine Worte entschuldigen. Zu spät. Den Initiatorinnen der Slutwalks,
Sonya Barnett and
Heather Jarvis reichte es endgültig mit der ständigen Umkehr von Opfern und Tätern. Sie organisierten den ersten von zahlreichen Protestmärschen und dank Internet verbreiteten sich die Slutwalks in Windeseile in der ganzen Welt.
Schuld sind immer noch die Opfer"My short skirt
is not a legal reason
for raping me
although it has been before
it will not hold up
in the new court."Eine Studie der Londoner Metropolitan University von 2009 ergab, dass in Deutschland jährlich etwa 8.000 Vergewaltigungen angezeigt werden. Der Anteil der Fälle, die sich während der Untersuchungen als Falschanschuldigungen erweisen, betrug dabei nur 3 Prozent. In nur 1.400 Fällen pro Jahr wurde Anklage erhoben, die meist aus Mangel an Beweisen scheitert: die Verurteilungsquote lag bei 13 Prozent.
Sei es Kachelmann oder Strauss-Kahn, die jüngste Vergangenheit hat überdeutlich gezeigt, wie Frauen, die Männer des öffentlichen Interesses der Vergewaltigung bezichtigen, von Medien und Gerichten behandelt werden. Sie werden vorgeführt wie Kriminelle, ihr Privatleben wird bis ins intimste Detail ausgeleuchtet, ihr Geisteszustand angezweifelt, ihr Charakter in den Dreck gezogen und ihre Glaubwürdigkeit von Grund auf unterminiert. Diesem voyeuristischen Spießrutenlauf, kann mensch argumentieren, werden die mutmaßlichen Täter genauso gnadenlos unterzogen. Wie bei jeder Straftat besteht die grundsätzliche Unschuldsvermutung. Anders als bei anderen Verbrechen jedoch kommt dem Opfer die unmögliche Aufgabe zu, nachzuweisen, dass es keine Gewalt erleiden wollte und dies auch deutlich gesagt hat.
Unter dem Strich bleibt die Grenzverwischung zwischen Sex und Gewalt, die für alle Geschlechter beleidigende Grundannahme, dass eine Frau
"Nein" sagt, wenn sie eigentlich
"Ja" meint und dass ein Mann den Unterschied nicht erkennen kann.
"My short skirt, believe it or not
has nothing to do with you.
My short skirt is not proof
that I am stupid
or undecided
or a malleable little girl."Die Selbstbezeichnung der Protestierenden als "Schlampe" soll das Wort für selbstbewusste Frauen beanspruchen und es so seiner verletzenden Bedeutung berauben, ähnlich, wie es der schwullesbischen Bewegung mit dem Begriff "queer" gelungen ist. Von feministischer Seite kommt hierfür jedoch nicht nur Beifall. "Schlampe" ist für viele GenderforscherInnen nur eine weitere misogyne Beschimpfung und nichts, was frau für sich annektieren sollte. Auch die übertrieben grell inszenierte Sexualisierung von Frauenkörpern trägt KritikerInnen zufolge nicht zur Gleichstellung der Geschlechter bei, sondern reproduziert nur unreflektiert ein pornografisch geprägtes Bild von weiblicher Sexualität, welches genauso frauenverachtend ist, wie die Haltung, gegen die die Slutwalks sich eigentlich richten.
Sie kommen nach DeutschlandBis voraussichtlich September 2011 wird jedes Wochenende in mindestens einer Stadt eine Demonstration stattfinden.
Der erste deutsche Slutwalk ist für den 13. August 2011 geplant und soll städteübergreifend in Berlin, München, im Ruhrgebiet, Frankfurt und Hamburg stattfinden. Es liegt an allen Beteiligten, diese Bewegung nicht zu einer bloßen Fleischbeschau verkommen zu lassen, sondern daran mitzuwirken, dass die gewaltige mediale Aufmerksamkeit, welche die Märsche derzeit erfahren, eine Botschaft vermittelt, für die mensch gerne auf die Straße geht:
"Mainly my short skirt
and everything under it
is Mine.
Mine.
Mine."Der Berliner Slutwalk findet am 13. August statt und startet um 15:00 Uhr am Wittenberplatz. Die Strecke endet am Gendarmenmarkt.Die Slutwalks werden unterstützt von
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